Was ist Angst eigentlich?
Angst bzw. Furcht hat den Status einer Basisemotion inne – es wird also angenommen, dass es sich dabei um eine kulturübergreifende, (fast) allen Menschen zugängliche und evolutionär bedingte Emotion handelt. Auch wenn die meisten Personen schon ab dem Kindesalter eine Vorstellung davon haben, was Angst bedeutet, ist es im psychologischen Kontext wichtig, verschiedene Komponenten zu unterscheiden und zu benennen:
Angst vs. Furcht: In der Alltagssprache werden die beiden Begriffe in der Regel synonym verwendet, es bestehen allerdings Unterschiede hinsichtlich Inhalt, Funktion und neuronaler Aktivierung. Wohingegen Furcht sich auf eine konkrete äußere Gefahr bezieht, wird Angst als ein allgemeiner, eher unbestimmter Zustand angesehen.
In diesem Artikel wird der allgemeinere Begriff „Angst“ verwendet, je nach Angstspektrums-störung steht vermehrt Angst oder Furcht im Fokus.
Angst als Zustand vs. Ängstlichkeit als Persönlichkeitseigenschaft: Angst als Zustand (Fachsprache: state anxiety) beschreibt eine vorübergehende emotionale Reaktion auf eine äußere Bedrohung, wohingegen Ängstlichkeit (Fachsprache: trait anxiety) eine zeitlich stabile, situationsunabhängige Persönlichkeitseigenschaft beschreibt. Nach dem Trait-State-Angstmodell von Spielberger (1972) bedeutet diese Unterscheidung, dass Personen mit einem hohem Maß an Ängstlichkeit in bedrohlichen Situationen häufiger Angstzustände erleben als weniger ängstliche Personen.
Komponenten und Funktion von Angst
Angst geht mit der Aktivierung mehrerer, komplexer körperlicher Systeme einher. Es laufen einerseits Prozesse auf der kognitiven Ebene ab (Gedanken), es kommt zu emotionalen Reaktionen (Empfindungen) und somatischen Veränderungen (körperlich) und schlussendlich zu entsprechenden Konsequenzen auf der behavioralen Ebene (Verhalten). Dem zugrunde liegen spezifische Aktivierungsmuster in neuronalen Gehirn-Systemen, dem Immun- und Nervensystem sowie dem körpereigenen Stress-System (HHN-Achse).
Evolutionär betrachtet hat Angst eine extrem wichtige Funktion als menschlicher Schutz- und Überlebensmechanismus. Walter Cannon (1915) hat in diesem Kontext den Begriff Kampf-oder-Flucht-Reaktion (original: fight-or-flight response) eingeführt. Angst als Antwort auf Stresssituationen dient dem menschlichen Körper dementsprechend als vorbereitender Mechanismus auf eine antizipierte Gefahr hin und ermöglicht so entweder Verteidigungs- oder Fluchthandlungen.
Von gesunder Angst zur Angststörung – das Kontinuum der Angst
Angst hat per se also keinen Krankheitswert, sondern ist vielmehr eine wichtige und gesunde Emotion des Menschen. Auch die Inhalte von angstbezogenen Gedanken sind sehr variabel und können die verschiedensten Thematiken beinhalten. Angst darf demnach nicht als ein dichotomes Merkmal betrachtet werden, sondern vielmehr äquivalent zu anderen psychischen Phänomen als ein dimensionales Konstrukt in Form eines Kontinuums, wobei jede Person zwischen den beiden Ausprägungen „gesunde Angst“ und „krankheitswerte Angst“ eingeordnet werden kann.
Wann spricht man dann von einer Angststörung? Eine Angststörung tritt erst dann auf, wenn die Angstgefühle sehr ausgeprägt auftreten und ein normales, mit anderen Personen vergleichbares, Maß überschreiten. Entscheidend für eine Diagnose ist zudem, dass sich die Person aufgrund der Ängste bzw. der Beschäftigung mit diesen in ihrer Funktionsfähigkeit, ihrem Alltag oder ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlt und dementsprechend Leiden empfindet.
Unterschiedliche Gesichter der Angst – das Spektrum der Angststörungen
Angststörung ist keinesfalls eine eigene Diagnose, sondern wird als Sammelbegriff für, mit Angst verbundene, psychische Erkrankungen verwendet. Gemeinsam ist den darunter zusammengefassten Diagnosen die oben beschriebene übertriebene Angstreaktion bei gleichzeitigem Fehlen einer entsprechenden realen Bedrohung. Im ICD-10 (in Deutschland gebräuchliches Diagnosesystem psychischer Erkrankungen) werden Angststörungen im „Kapitel 4: neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ kodiert.
Erkrankungen aus dem Spektrum der Angststörungen stellen neben depressiven und suchtbezogenen Erkrankungen die häufigsten psychiatrischen Diagnosen in Deutschland dar und gehen sehr oft mit weiteren, sog. komorbiden psychischen Erkrankungen einher. 2016 ergab sich eine 12-Monats-Prävalenz (also das Vorhandensein einer Erkrankung während der letzten 12 Monate) für Angststörungen von 15,4% unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Frauen sind hierbei relativ stabil über die verschiedenen Diagnosen hinweg doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Behandlung der unterschiedlichen Erkrankungen erfolgt zwar sowohl individuell auf den:die Patienten:in zugeschnitten als auch mit erkrankungs-spezifischen Schwerpunkten, es bestehen allerdings für alle Spektrums-Erkrankungen gute bis sehr gut Behandlungsaussichten.
Überblick über die häufigsten Formen der Angststörung
In Anschluss soll eine Übersicht über die häufigsten Formen der Angststörung gegeben werden: generalisierte Angststörung, Panikstörung und Agoraphobie, soziale Phobie und spezifische Phobie.
Generalisierte Angststörung (F41.1)
Die Generalisierte Angststörung (kurz: GAS) beschreibt eine langfristige, übertriebene Tendenz einer Person, sich bezüglich alltäglicher Ereignisse und Probleme Sorgen zu machen. Hierbei unterscheiden sich Patient:innen mit GAS im Vergleich zu gesunden Personen explizit nicht bezüglich der Inhalte der Sorgen, sondern vielmehr bezüglich der Dauer, der Intensität und der Kontrollierbarkeit dieser. Zudem fühlen sich Patient:innen in der Regel in ihrer alltäglichen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt oder erfahren persönliches Leiden aufgrund der Symptome. Ein mögliches Beispiel für Sorgen im Rahmen der GAS wäre: man hat Angst, sich in vielen Situationen (z.B. dem Freibad) zu erkälten, auf der Fahrt nachhause könnte ein Unfall geschehen und man könnte anschließend nicht mehr arbeiten und würde dann arbeitslos.
Panikstörung (F41.0) und Agoraphobie (F40.0)
Unter einer Panikattacke versteht man das zeitlich begrenzte Erleben von intensiver Angst oder Unbehagen. Eine solche Panikattacke hat per se noch keinen Krankheitswert, sobald allerdings mehrere Panikattacken unerwartet auftreten (sich also nicht auf ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Situation beziehen) und die Person Angst vor weiteren Attacken hat, spricht man von einer Panikstörung.
Agoraphobie bezeichnet die anhaltende Furcht vor und Vermeidung von bestimmten Situationen bzw. das Ertragen dieser Situationen nur unter deutlichem Unbehagen. Mögliche betroffene Situationen sind Menschenmengen, öffentliche Plätze sowie alleinige Reisen bzw. Reisen mit weiter Entfernung von zuhause. Die Angst von Patient:innen mit Agoraphobie bezieht sich in der Regel darauf, diese Situationen im Falle von schwerer Angst oder einer Panikattacke nicht rechtzeitig verlassen bzw. Hilfe holen zu können.
Panikstörung und Agoraphobie können getrennt voneinander diagnostiziert werden, treten aber in der Mehrheit der Fälle zusammen auf und werden dann als Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01) kodiert.
Soziale Phobie (F40.1)
Soziale Phobie beschreibt die Furcht bzw. Vermeidung von Situationen, in denen die Person im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer Personen steht (z.B. soziale Interaktion, Essen oder Trinken) oder eine Leistung vor anderen Personen erbringen muss (z.B. Rede halten). In der Regel beinhalten die Gedanken der Person Befürchtungen davor, sich peinlich zu verhalten oder aufgrund der Symptome der Angst (z.B. Erröten) von anderen negativ bewertet zu werden. Soziale Phobie führt häufig zu einem schleichenden Rückzug aus sozialen Situationen, zu Reduzierung von Kontakt mit anderen Menschen und zu Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben sowie einer Reduktion der Lebensqualität.
Spezifische (isolierte) Phobie (F40.2)
Die häufigste Form der Angststörung stellen die spezifischen Phobien dar. Ähnlich zur sozialen Phobie kommt es auch hier zu deutlicher Furcht vor bzw. Vermeidung von bestimmten Objekten oder Situationen. Die phobischen Inhalte sind allerdings nicht sozialer Natur, sondern können in der Regel einer von vier konkret umschriebenen Kategorien zugeordnet werden: dem Tier-Typus (z.B. Spinnen, Schlangen), dem Naturgefahren-Typus (z.B. Gewitter, Dunkelheit), dem Blut-Injektions-Verletzungs-Typus (z.B. Blutphobie, Spritzenphobie) oder dem situativen Typus (z.B. Klaustrophobie, Höhenphobie, Flugphobie). Entscheidend für die Diagnose der spezifischen Phobie ist, dass sich die Angst nur auf das phobische Objekt/die phobische Situation bezieht und zu einer emotionalen Belastung durch die Vermeidung von phobisch behafteten Situationen führt.
Quellen
Angst oder Angststörung – Wo liegt der Unterschied? AOK Gesundheitsmagazin. (abgerufen am 09.03.2023)
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